ANNO 1838, ein junger Verein mit Wurzeln
Vor fast genau einem Jahr, am 24.05.2014 wurde ANNO 1838 – Hau = Stoßfechten e.V. aus der Taufe gehoben. Als ehemalige Säbelgruppe des Vereins Hammaborg – Historischer Schwertkampf e.V. lies sich der Verein mit damals elf anwesenden Fechtern schnell und problemlos gründen. Gute Strukturen des Herkunftsvereines wurden gern mit aufgenommen, wie z.B. “regelmäßiges Contrafechten ausnahmslos für alle ab dem ersten Training” oder das HALAG-System.
Aktuell hat der Verein dreizehn Mitglieder, von denen sieben leistungsorientiert trainieren. Über das dreimal die Woche stattfindende Training hinaus gibt es die jährliche Veranstaltung “ISS”, die schon zu Hammaborg-Zeiten abgehalten wurde. Das “International Sabre Symposium” wird von durchschnittlich 60 Teilnehmern aus rund einem Dutzend Nationen besucht. Dazu treffen sich Militärsäbel begeisterte Fechter, von Anfängern bis hin zu alt gedienten Instruktoren.
Konsequente Ausrichtung
Als organisatorische Besonderheit ist zu nennen, dass ANNO 1838 nur rechtlich notwendige Strukturen umsetzt und ansonsten Ämter- und Postenbildung zugunsten Eigeninitiative und Transparenz ablehnt. Manchem ist dies als “Aprikosen-” oder “Pfirsichstruktur” bekannt.
Der harte Kern enthält die gesetzlich vorgeschriebene Struktur aus minimal zwei Vorsitzenden, Revision und einem Vereinszweck. Der demokratisch verabschiedete Vereinszweck gibt vor, was im umliegendem Bereich, dem saftigem, freiwilligem Teil, wachsen soll: “die Wiederbelebung, Vermittlung und Bewahrung des historischen Hau-Stoßfechtens”.
Alle freiwilligen Aktivitäten, die diesem Zweck dienlich sind lassen sich mit Budget, Hallenzeiten und Ressourcen fördern. Die praktische Umsetzung ist Sache der Engagierten, z.B. der Trainingsleiter, der Quellenkundler oder der Eventförderer. Alle fechtrelevanten Aktivitäten unterliegen dabei der pragmatischen Interpretationsmethode von Thore Wilkens und der Definition Historischen Fechtens des DDHF.
Als Prüfstein des Erfolges aller Aktivtäten dienen Contrafechten, Schnitttests und alle Arten von historisch belegten Wettkämpfen wie z.B. Assauts.
Nur eine Waffe, nur eine Quelle
Eine weitere Besonderheit im Verein ist die strikte Ausrichtung auf nur eine Quelle, der „Theoretisch-praktische Anleitung des Hau-Stoßfechtens und des Schwadronhauens (…)“ von F. C. Christmann und Dr. G. Pfeffinger aus dem Jahre 1838.
Als einzige Waffe kommt der militärische Säbel zum Einsatz, weitere im Christmann beschriebene Waffen werden nicht trainiert, da sie nur als Ergänzung gesehen werden.
Die Anleitung des Hau=Stoßfechtens enthält neben einer von Grund auf detaillierten Anleitung eine kurze Beschreibung historischer Prüfungen. Zudem wird neben dem damaligen Unterricht auch der langfristige Rahmen einer Ausbildung knapp umrissen.
Das Prüfungsystem
Auf dieser historischen Basis und modernen Überlegungen wurde in Zusammenarbeit mit Mispeldorn (Aachen/Viersen) ein Lehrheft für Einsteiger inklusive einer erste Prüfung entwickelt.
In den ersten Monaten eines Fechterlebens werden Einsteigende in die grundlegenden Begriffe und Bewegungen des Systems wie Begrüßung, Bein- und Hiebarbeit eingeführt. In dieser Zeit werden sie von einem der Trainer gesondert in Einzelanwendungen betreut. Die Prüfung wird halbjährlich durchgeführt und dient der Überprüfung des Gelernten. Mit Bestehen der Prüfung sind die Einsteiger körperlich und geistig in der Lage, am regulären Training teilzunehmen.
Theorie und Praxis
Der Ablauf einer Prüfung beinhaltet einen steten Wechsel von theoretischen Fragen und praktischen Anwendungen. Das ist für die Teilnehmenden sehr fordernd, aber unausweichlich, denn Theorie und Praxis sind Elemente des Trainings und werden benötigt, um in späteren Kampfsituationen Geist und Körper in Einklang zu bringen. Christmann setzt in seinem System neben reinen körperlichen Drill das Verstehen als wichtiges Trainingselement ein. Die Prüfungen folgen dieser Idee.
Eine weitere Besonderheit der Prüfungssituation ist die Einbeziehung vereinsfremder Prüfer. Diese sorgen mit langjähriger Erfahrung in Säbel- und Prüfungssystemen und kritischer Bewertung dafür, dass die Fähigkeiten der Einsteiger im Fokus der Prüfung stehen und angemessen bewertet werden. Außerdem geben sie den Trainingsbetrieben der teilnehmenden Vereine direktes Feedback, so dass das Training rund um die Einsteigerprüfung regelmäßig verbessert und aktualisiert wird.
Seit Vereinsgründung haben drei Neumitglieder das System in Reinform durchlaufen und die Prüfung bestanden. Insgesamt wurden seit Ende 2013 einundzwanzig Einsteigende zweier Vereine geprüft, die sich bereitwillig für den Aufbau bereitstellten. Außerdem bewies das System seine Tauglichkeit zur Eingliederung eines Wiedereinsteigers.
Aussichten
Aktuell arbeiten die Trainer in Zusammenarbeit mit Kollegen von Mispeldorn an den Inhalten der Prüfung zu “Principien des Hau=Stoßfechtens nach Christmann”, die neben bisherigem Einsteigerwissen noch mehr Quellenwissen und motorische Fähigkeit unter Leistungsaspekten und im Contrafechten bewertet.
Neben der Durchdringung des Stoffes in der Tiefe ist aber auch die Erweiterung des Kreises der prüfenden Vereine und Gruppen ein Wunsch für die Zukunft. Unbegründet ist dies nicht, denn die Anfrage nach Seminaren bei den etablierten Gruppen ANNO 1838 und Mispeldorn lassen dies hoffen.
Und natürlich freuen sich alle ISS-Besucher über neue Mitfechterinnen und Mitfechter im Jahr 2016 in Hamburg!
Über die Autoren:
Marcus Hampel leitet das Samstagstraining und koordiniert den Trainingsbetrieb. Er ficht seit 2003 und als Mitglied verschiedener Fechtgruppen, -vereine und Waffengattungen. Diese Erfahrungen aus über 2.500 Stunden fließen in den Verein mit ein.
Sebastian Schlaadt leitet das Montagstraining. Sein Hintergrund aus Medizintechnik und Ingenieurwissenschaft verleiht dem Verein Wissen über die (Bio-) Mechanik, sowie aktuelle und historische medizinische Aspekte der Fechtkunst.
Fotos: ANNO 1838 – Hau=Stoßfechten e.V.
www.anno1838.de