Schwerter aus Federstahl?

Bessere Federn durch Federstahl?

In unseren Reihen hört man gelegentlich die Meinung: Hätten die Schmiede im Mittelalter schon Federstahl gekannt, so hätten sie bessere Waffen herstellen können.

Gemeint damit ist wohl, speziell im Hinblick auf Schwerter, dass Federstahl vermeintlich ermöglicht, haltbarere und elastischere Klingen zu produzieren. Aber stimmt das tatsächlich? Sind Federstahlklingen wirklich elastischer als solche aus einfachem Stahl?
Wenn dies zuträfe, wäre dann nicht die Folge, dass wir mit unseren heutigen Klingen nicht historisch korrekt fechten könnten, weil sie sich „modern“ verhalten? Der vorliegende Aufsatz möchte diese Vermutungen zurechtrücken und das Grundverständnis erweiternde Aussagen treffen hinsichtlich der Eigenschaften von Eisen, Stahl und Federstahl.

Fangen wir mit der Grundlage des Werkstoffes Stahl an, dem Eisen: Bezogen auf den Anteil an der Masse unserer Erde, nimmt Eisen mit fast 30 % den zweiten Platz ein. In der Reihe der Elementenhäufigkeit in der Erdkruste liegt es hinter Aluminium auf Platz vier. Der Schmelzpunkt reinen Eisens liegt bei ca. 1.540°C (s. Wikipedia-Artikel Eisen)

Eisen ist in seiner chemischen Struktur aufgebaut wie ein Kristall. Das Gefüge des Eisens setzt sich aus Eisenkörnern zusammen, die dicht gepackt aneinander liegen. Ein Eisenkorn misst im Durchmesser durchschnittlich ca. 30-50μm, das sind 0,03-0,05 mm (s. Verhoeven, S. 18). Jedes Eisenkorn besteht aus vielen Eisenkristallen, und jeder dieser Kristalle ist ein Zusammenschluss vieler Elementarzellen. Die Elementarzellen haben die Form eines Würfels (s. Verhoeven S. 14f). Zur Veranschaulichung dieses Aufbaus eines Eisenkristalls stelle man sich eine handelsübliche Packung Würfelzucker vor, in der die Zuckerwürfel in breiten Reihen lageweise übereinander geschichtet sind: Jeder Würfel darin entspräche einer Elementarzelle, die ganze Würfelpackung einem Eisenkristall, und mehrere Würfelpackungen zusammengepackt ergäben ein Eisenkorn.

Bleiben wir bei dieser Würfelzuckeranalogie: Die einzelnen Lagen und Reihen der Zuckerwürfel sind recht leicht gegen- und untereinander verschiebbar – ebenso im Eisen, und deshalb ist reines Eisen ein vergleichsweise weiches Metall, das sich auch kalt gut verformen lässt.

Reines Eisen wird auch durch Schmieden und Hämmern nicht nennenswert härter, und härtbar ist es auch nicht. Somit ist reines Eisen für das Schmieden von Waffen und Rüstungen nicht hinreichend geeignet. Aber wodurch wird Eisen härter und vor allem härtbar? Es liegt am Kohlenstoff! Lagern sich Kohlenstoffatome in den Elementarzellen des Eisens an, dann ändert sich das Gefüge, und wir erhalten Stahl.

Kohlenstoff ist der wichtigste Legierungspartner von Eisen. Es genügen bereits geringe Mengen an Kohlenstoff, um die Eigenschaften und das Verhalten von Eisen beim Erwärmen und Abkühlen zu beeinflussen. Hier ist leider nicht der Ort, diese hochinteressanten Vorgänge zu beschreiben; wer sich darin einlesen möchte, dem sei wärmstens das höchstlesenswerte Werk von Verhoeven empfohlen (s. Literaturliste).

Bei aller geforderten Kürze daher nur soviel: je höher der Kohlenstoffgehalt, umso (vgl. Stahlschlüssel-Taschenbuch S. 4)

  • niedriger der Schmelzpunkt (allerdings nur bis zu einem gewissen Grad)
  • höher die Härte bzw. Festigkeit
  • höher die Härtbarkeit
  • höher die Sprödigkeit
  • niedriger die Dehnbarkeit
  • niedriger die Schmiedbarkeit
  • niedriger die Schweißbarkeit
  • niedriger die Bearbeitbarkeit durch Schleifen, Feilen, Fräsen o.ä.

Von Stahl spricht man, wenn der Kohlenstoffgehalt zwischen 0,06 und ca. 2% liegt. Ist noch mehr Kohlenstoff im Eisen gelöst, spricht man von Gusseisen. Ab einem Gehalt von ca. 0,2 % Kohlenstoff ist Stahl härtbar. Schon bei der Kaltbearbeitung spürt man den Unterschied, wie ich aus eigener Erfahrung berichten darf, so etwa beim Bearbeiten von 1mm-Blech: Kohlenstoffarmes Tiefziehblech lässt sich relativ leicht schneiden, treiben und kalt umformen, wohingegen härtbares C45-Blech mit einem Kohlenstoffgehalt von ca. 0,45 % einem deutlich mehr Ausdauer und Schweiß abverlangt.

Die Legierung allein ändert die Eigenschaften des Stahls jedoch nicht signifikant – dies geschieht erst durch die sog. Wärmebehandlung. Ein jeder von uns kennt das Bild: Ein Schmied taucht nach dem Hämmern das noch glühende Werkstück in einen Wasserbottich, es zischt und dampft aus dem Bottich – doch warum tut der Schmied das? Etwa, um das Werkstück berühren und prüfen zu können, ohne sich die Finger zu verbrennen? Nein, der Grund ist, dass das Werkstück nach dem Abschrecken im Wasser fester ist als vorher! Das ist das Faszinierende an Stahl: Seine Härte und Festigkeit lassen sich durch die Wärmebehandlung verändern! Je nach Kohlenstoffgehalt, Höhe der Glühtemperatur und Geschwindigkeit des Abschreckens kann das Werkstück glashart werden! Allerdings ist es dann auch ebenso spröde wie Glas und wäre im Falle eines Klingenrohlings oder einer Helmkalotte für den harten Einsatz unbrauchbar, denn ein Schlag würde genügen, die Klinge oder den Helm in Scherben springen zu lassen. Deshalb gehört zur Wärmebehandlung von Stahl nicht nur das Glühen und Abschrecken, sondern nachfolgend auch das Anlassen. Dabei wird das Werkstück auf moderate Temperaturen erhitzt, was eine Gefügeveränderung bewirkt: Härte und Sprödigkeit nehmen ab auf ein praktikables Maß, Zähigkeit und Elastizität nehmen dabei zu. Das eine geht immer zu Lasten des anderen, und die Kunst der Wärmebehandlung liegt darin, den für den Gebrauch besten Kompromiss zu finden (und natürlich auch herzustellen!). Stahlhärtung ist also meist ein mehrstufiger Prozess, bestehend aus Hochglühen, Abschrecken, Anlassen und Abkühlen.

Kommen wir zum Federstahl. Nehmen wir zwei Kugeln, eine aus Eisen, die andere aus Federstahl, und lassen wir beide aus gleicher Höhe auf die Straße fallen. Würde die Federstahlkugel etwa springen wie ein Gummiball, die Eisenkugel jedoch liegen bleiben? Oder um die eingangs formulierte Meinung umzuformulieren: Hätte man im Mittelalter Kanonenkugeln aus Federstahl fertigen können, wären diese dann beim Beschuss einer Burgmauer von der Mauer zurückgeprallt? Antwort: nein, natürlich nicht!

Bevor wir uns anschauen, woraus Federstahl besteht, überlegen wir uns, was Federn überhaupt bedeutet. Federn gehören zu unserem Alltag, man denke an die Sprungfedern einer Matratze, an die Federung im Auto, die Spiralfedern in einem Kugelschreiber, die Blattfedern an Güterwaggons und LKWs usw. usf. Ihnen allen ist gemein zweierlei: Sie bestehen aus einem Werkstoff, der von Hause aus elastisch und nicht spröde ist – aus Beton, Glas und Keramik lässt sich keine Feder herstellen, denn sie würde bei Belastung vor lauter Sprödigkeit einfach brechen. Des Weiteren besitzen Federn eine Form, die sie elastisch nachgeben lässt. Eine stählerne Kanonenkugel ist fest und steif – formen wir daraus jedoch ein langes, dünnes und schmales Blatt, gewinnen wir eine Blattfeder; formen wir aus der Kugel einen dünnen Stab und drehen wir daraus eine Spirale, gewinnen wir eine Schraubenfeder.

Eine Schwertklinge ist mit einer Blattfeder vergleichbar. Je dünner und schmaler die Klinge, umso elastischer ist sie (man denke an die Hanwei-Federn, die so dünn und elastisch waren, dass man soz. um die Ecke fechten konnte). Die Formgebung einer Klinge ist also der entscheidende Faktor dafür, wie elastisch oder steif eine Klinge ist, und nicht so sehr die Stahllegierung. So weit, so gut. Dennoch hat Federstahl als Klingenmaterial seine Berechtigung, doch nicht, um eine Klinge etwa deutlich elastischer zu machen.

Was tut eine Feder eigentlich? Vereinfacht gesagt: Eine Feder gibt einer auf sie einwirkenden Kraft nach; eine Druckfeder wird zusammengedrückt, eine Zugfeder auseinandergezogen. Die Feder verformt sich also bei Krafteinwirkung elastisch. Lässt die einwirkende Kraft nach, stellt die Feder ihre ursprüngliche Länge wieder her. Je nach Einsatzzweck halten Federn diese elastische Verformung in einer Häufigkeit aus, die sich nur mit Potenzzahlen darstellen lassen, etwa die Ventilfedern in einem Viertaktmotor: Bei einer Leerlaufdrehzahl von 800 U/min werden die Ventile 400 mal in der Minute geöffnet und geschlossen, die Ventilfedern demnach 400 mal zusammengedrückt und wieder entspannt – das ist fast siebenmal pro Sekunde. Ein fünfminütiges Stehen an der Ampel mit laufendem Motor bedeutet ein 2000-maliges Öffnen und Schließen der Ventile bzw. Zusammendrücken und Entspannen der Ventilfedern. Eine einstündige Autobahnfahrt bei gleichbleibendem Tempo und einer Dauerdrehzahl von 3.500 U/min lässt die Ventile 105.000 mal auf- und zugehen – oder anders gerechnet: Eine Stunde lang schwingen die Federn pro Sekunde gut 30mal. Wie oft die Federn der Ventilsteuerung in einem langen Autoleben von 20 Jahren und 200.000 km Laufleistung dieses Wechselspiel haben mitmachen müssen, ist unvorstellbar. Dass die Federn diese extrem anmutende Belastung so oft aushalten, hat einen einfachen Grund: Die Federn werden dabei nicht überdehnt, denn die Belastung tritt stets im elastischen Bereich auf. Bei solch einer Beanspruchung sind Federn dauerschwingfest.

Doch auch die beste und solideste Feder ist sofort ruiniert, indem man sie über den elastischen Bereich hinaus belastet, indem man sie plastisch verformt.

Machen wir uns den Unterschied zwischen elastischer und plastischer Verformung an einem Gummiband deutlich, das wir uns um beide Daumen schlingen. Ziehen wir nun das Band nur ein wenig auseinander, sind wir im elastischen Bereich. Je weiter wir jedoch wir das Gummi dehnen, umso mehr nähern wir uns dem Punkt, an dem wir es plastisch verformen. Spürbar wird dies dadurch, dass wir auf einmal mehr Kraft benötigen, das Gummi noch ein Stück weiter auseinander zu ziehen; nicht zuletzt müssen wir befürchten, dass das Gummi gar reißen könnte. Hier an diesem Punkt haben wir das Gummi bis an seine Elastizitätsgrenze gebracht. Nähmen wir nun das Band von den Daumen herunter und verglichen wir seine jetzige Länge mit der ursprünglichen, so stellten wir fest, dass es sich gelängt hat. Und nicht nur das: Bei einem erneuten Zugversuch spürten wir, dass seine Elastizität und Spannkraft nachgelassen haben.

Für Federn wie jene in der Ventilsteuerung eines Motors verwendet man, wie sich denken lässt, Federstahl. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass Silizium als Legierungspartner hinzugesetzt wurde. Silizium erhöht die Elastizitätsgrenze, und darum ist es zweckmäßig für Stähle, die als Federn eingesetzt werden (vgl. Stahlschlüssel-Taschenbuch, S. 8). Silizium gelangt schon bei der Stahlherstellung in die Schmelze, und zwar von der feuerfesten Auskleidung des Hochofens (Stahlschlüssel ebd.).

Arno Eckhardt hat in seinem vor einiger Zeit erschienenen Online-Artikel ‚Schwertkauf und Schmiedemarken’ (s. Literaturverzeichnis) die Stahlsorten aufgelistet, die die in unserer Szene bekannten Schwertschmiede benutzen. Die meisten der genannten Stahlsorten enthalten Silizium, sind von der Legierung her also sog. Federstähle. Doch wie Eckhardt weiter ausführt:

„Diese [in der Liste genannten] Stähle eignen sich einfach am besten für lange Klingen. Sie unterscheiden sich nur geringfügig in ihrer chemischen Zusammensetzung und kommen sogar den historischen Werkstoffen am nächsten. Durch den relativ geringen Kohlenstoffgehalt sind sie auch bei höheren Härten sehr elastisch und damit bruchsicher. Da die Unterschiede wirklich nur geringfügig sind, sind alle derzeit verwendeten Stähle in unserer Liste als gut geeignet anzusehen, vorausgesetzt, sie wurden sauber wärmebehandelt (gehärtet), denn letztlich ist es die Qualität der Härtung und nicht allein die des Stahles, die eine gute Klinge ausmacht! Dass die Schmiede unterschiedliche Stähle verwenden, hängt in erster Linie damit zusammen, welche Stähle für den Schmied am einfachsten zu beschaffen sind und nicht von deren Qualität.“

Dennoch bewahren eine geeignete Legierung und die richtige Wärmebehandlung eine Klinge nicht vor einer Überbelastung. Ein Stich gegen die Fechtmaske des anderen lässt die Klinge sich durchbiegen. Solange die Durchbiegung im elastischen Bereich bleibt, macht die Klinge unendlich viele Stiche mit. Doch es genügt ein hart geführter Stich, der sie überdehnt, erkenntlich daran, dass die Klinge nach dem Stich ein wenig krumm ist (üblicherweise in der Schwäche). Natürlich lässt sie sich danach wieder richten, doch technisch gesehen ist sie bereits defekt. Wäre der Holm einer Flugzeugtragfläche derart beansprucht worden, dann würde, ja müsste man ihn sofort auswechseln! Unsereiner jedoch ficht weiter, registriert dabei aber, dass die Klinge nun immer öfter einen Stich im wahrsten Wortsinn „krumm nimmt“; und eines Tages bricht die Klinge einfach ab.

Technisch defekt bedeutet: Die Klinge ist über ihre Elastizitätsgrenze hinaus belastet worden. Im Gefüge des Stahls sind Mikrorisse entstanden, die die Festigkeit herabsetzen. Diese Mikrorisse wirken wie Kerben, sie wachsen auch bei normaler Belastung der Klinge still und heimlich weiter, bis die Gefügeschädigung so groß ist, dass das Gefüge an einer Stelle auseinanderbricht – oftmals ohne Vorwarnung. Von außen sind diese Mikrorisse nicht zu erkennen, nur an ihrem Indiz: einer verbogenen Klinge.

Federstahl ist bei solchen Beanspruchungen etwas gutmütiger und nimmt Überbelastung nicht so schnell krumm wie einfacher Stahl. Formten wir zwei Federklingen von gleichen Abmessungen, die eine aus Stahl, die andere aus Federstahl, so müsste sich letztere etwas weiter durchbiegen lassen als erstere, ohne dass die Klinge sich verbiegt – zumindest theoretisch. Denn wie Arno Eckhardt schon betonte: Wichtiger als die Legierung ist die Wärmebehandlung. So gesehen könnten bei zwei baugleichen Federstahlklingen und identischer Stahlsorte Unterschiede auftauchen hinsichtlich ihrer Elastizitätsgrenze, wenn bei der Wärmebehandlung der einen ein wenig anders verfahren wurde als bei der anderen. Selbst erlebt habe ich dies bei meiner Trnava-Feder von Péter Regenyei: Deren Klinge ist im Bereich der Stärke gut 9mm dick und wirkt somit fast unzerstörbar. Doch ein Fehler in der Wärmebehandlung führte dazu, dass sie sich während normalen Trainings gar eben in der Stärke verbog! Die Feder, die Péter dann auf Garantie schickte, hat bisher nichts krumm genommen, bei ihr stimmt also die Wärmebehandlung.

Um nicht in den Verdacht der Panikmache zu geraten: Wer seine Feder regelmäßig im Sparring benutzt und sie einmal dabei verbogen hat, braucht nicht zu befürchten, dass sie übermorgen schon bricht. Es kann mitunter Jahre dauern, bis diese Mikrorisse so groß geworden sind, dass ein Klingendefekt droht. Bei einer Klinge jedoch, die den Teilnehmern eines Turniers als Standardwaffe gereicht wird, sollten sich die Veranstalter gut überlegen, nach welcher Zahl an Wiederbegradigungen sie eine Klinge aus Sicherheitsgründen austauschen. Im Zweifelsfall: je eher, desto besser. So darf ich wohl hinzufügen, dass ich meine Feder nicht mehr einsetze (noch nicht einmal fürs normale Training), seit sie in der Angel verbogen ist.

Fazit

Damit ein Gegenstand elastisch reagieren kann, muss er zum einen aus dem passenden Material bestehen, zum andern muss er auch die entsprechende Form haben. Die Legierung eines Stahls allein macht eine Klinge nicht per se elastisch und zäh, sondern die Wärmebehandlung. Wärmebehandlung ist eine Gratwanderung zwischen Härte und Elastizität, und hier kann immer nur ein dem Einsatzzweck genügender Kompromiss angestrebt werden.
Von einer Federstahllegierung darf man keine Wunder erwarten hinsichtlich deutlich höherer Elastizität oder erhöhter Sprungkraft. Federstahl kann in erster Linie die „Notlaufeigenschaften“ einer Klinge erhöhen, aber eben auch nur dann, wenn die Wärmebehandlung stimmt.
Trainingswaffen aus Federstahl ermöglichen vom Werkstoff her originalgetreues Verhalten beim Fechten, wenn die daraus gefertigten Klingen originalgetreue Formen besitzen.

Autor: Dr. phil. Friedrich Lehmann, Historisches Schwertfechten Nordhessen e.V.
Marburg, August 2015

Literatur: