Der Säbel und die deutsche Hiebfechtschule

Säbelfechten nach Roux und Schulze

Georg Mackowiak, Prevot d’Armes AAI

Meine ganz besondere Vorliebe im großen Feld der Fechtarten, die heute unter dem Oberbegriff „HEMA“ subsumiert werden, ist das Hiebfechten nach deutscher Schule, hier ganz speziell das Säbelfechten gemäß deutscher Hiebfechtschule, wie es unter anderem von Schulze und Roux (siehe Literaturangaben unten) beschrieben wurde.

Bei der militärischen Anwendung des Säbelfechtens wurden die jeweiligen Dienstsäbel benutzt, beim Säbelduell entweder Militärsäbel (insbesondere, wenn die Duellanten Offiziere waren) oder aber deutsche Korbsäbel.
Bei der Ausbildung in den Fechtsälen wurde der deutsche Korbsäbel benutzt. Die Bestandteile des Korbsäbels sind in der entsprechenden Illustration zu sehen.

Besonderheiten der Beinarbeit

Beim Unterrichten fallen mir immer wieder gewisse Probleme auf, die die Besonderheit dieses Fechtsystems offenbaren. Einige davon möchte ich hier anführen.

Es beginnt mit der Fechtstellung. Diese wird beim deutschen Säbelfechten eingenommen, indem man aus der Frontalposition eine Achteldrehung entgegen des Uhrzeigersinns um den fest am Boden sitzenden rechten Fuß ausführt. Man steht nun also in einer Halbschrägposition, die Füße etwa eine Schulterbreite voneinander entfernt. Nun wird das hintere Bein im Knie gebeugt, die Hüfte zurückgenommen und das rechte (vordere) Bein gestreckt. Dabei beugt man den Oberkörper etwas nach vorn, legt den linken Arm mit der geballten Faust auf den Rücken und hebt den fast gestreckten rechten Arm bis etwa in Schulterhöhe. In der Rechten wird nun der Säbel gehalten.
Das Problem dabei besteht darin, dass heutige Fechter üblicherweise an dynamische Beinarbeit gewohnt sind. Selbst Anfänger kennen von Sportreportagen und von diversen Actionfilmen her stets Fechtaktionen mit viel Hin und Her, eindrucksvollen Ausfällen, sogar Sprüngen und dergleichen. Die Fechtstellung wie oben beschrieben macht derartige effektvolle Beinarbeit unmöglich. Intuitiv neigen sowohl Anfänger wie Fechter mit Vorerfahrung dazu, oben beschriebene Fechtstellung zu verlassen und in eine moderne überzugehen. Dies aus den Köpfen rauszubekommen, ist ein ganz erhebliches Problem.

Die typische Beinarbeit macht es nicht wirklich leichter. So wird der Schritt vorwärts aus obiger Position ausgeführt, indem der hintere Fuß an den vorderen herangezogen und dann das vordere Bein wieder nach vorn gestreckt werden. Der Ausfall geschieht durch ein Vorwärtsbewegen des Körpers und schnellkräftiges Vorsetzen des vorderen Fußes um etwa ein bis höchstens zwei Fußlängen bei Strecken des hinteren Beines – ein kurzer Ausfall, der so ganz anders ist als das, was man vom modernen Sportfechten gewohnt ist. Weitere Beinarbeit besteht aus Drehungen beim Ausfall oder Schritt um den vorderen oder hinteren Fuß. Und: Der Schritt rückwärts wird im o.g. Fechten nach deutscher Schule nicht gelehrt.

Die Erwartungshaltung von Fechtern geht eher in Richtung dynamischer Bewegungen, gerne auch mit optisch eindrucksvollen Moves – genau das findet sich in der Beinarbeit der deutschen Fechtschule nicht. Sie ist auf ein Minimum reduziert, konzentriert auf reine Effektivität ohne jeden Schnörkel. Schwierig ist besonders, zu erklären, dass es im Fechten nach deutscher Schule keine Rückwärtsbewegung gibt. Für das Duell erklärt sich dies aus den Duellregeln, die auf dem für damalige Zeit extrem wichtigen Prinzip der Ehre beruhten. So galt es als ehrlos zurückzuweichen, anstatt tapfer zu kämpfen. Wer also im Duell nach hinten auswich, verhielt sich ehrlos – und damit war seine Ehre und seine Satisfaktionsfähigkeit verloren. Galt das auch fürs militärische Fechten? Ja, auch da galt das. Die strikte Vorschrift, sich an die Regeln der Ehre zu halten, galt ebenfalls für Offiziere (siehe Literaturangaben unten).

Mit dem Akzeptieren dieser Eigenarten der Beinarbeit der deutschen Fechtschule steigt der Fechter, der Hiebfechten nach deutscher Schule erlernt, nicht nur in reines Imitieren alter Bewegungsabläufe ein, sondern auch in eine bestimmte Geisteshaltung. Es ist anfangs sehr schwierig, sich auf diese uns eher unverständlichen Vorstellungen einzulassen.

Keine Stiche und Angriffe unterhalb der Gürtellinie

Schwierig ist es dann auch, die besondere Weise der Arm- und Klingenarbeit zu lehren. Die Grundregel, dass Stiche und alle Angriffe unterhalb der Gürtellinie strikt verboten sind, wird meist schnell akzeptiert. „Das ist halt eine Regel“, mit dieser Begründung kommen wir modernen Menschen klar. Aber es ist nicht nur eine Regel, sondern Bestandteil jenes komplexen Ehrsystems und damit weit mehr.

Die Armposition ist im deutschen Hiebfechten sehr anstrengend. Die Hand befindet sich bei locker gestrecktem Arm etwa in Schulterhöhe, die Klinge weist nach oben. Hiebe werden durchgeführt, indem die Klinge in Fingern und Handgelenk leicht nach hinten genommen wird und dann aus Fingern und Handgelenk, zusammen mit Strecken des Armes, ins Ziel geschleudert wird. Hauptziel ist der Kopf, später folgen Rumpf- und Armhiebe, Kopf oben (Prim), links (Terz) und rechts oben (Quart). Dabei wird der Arm nach oben gestreckt. Beim Scheitelhieb, dem Primhieb, der hier exemplarisch genannt sei, befindet sich der Arm etwa 30–45° nach oben gewinkelt, die Faust mit obenliegendem Daumen knickt nach unten ab und die Säbelschneide trifft den gegnerischen Kopf direkt oben. Durch Ausfallbewegung kommt eine Vorwärtsbewegung hinzu, die dem Hieb Schnittkraft verleiht, sodass ein Säbelhieb, korrekt durchgeführt, durch die Schädeldecke ins Hirn eindringen würde. Bei dieser Hiebweise gibt es keine großen, eindrucksvollen Schwünge, die Hiebe der deutschen Hiebfechtschule sind auf Effektivität und reine Zweckdienlichkeit optimiert.

Primhieb und Primparade im Techniktraining

Beim Lehren besteht das Hauptproblem hier darin, dass die Fechtschüler den Arm im Laufe der Zeit nach unten sinken lassen und in eine „moderne“ Fechtposition übergehen. Dadurch ist man jedoch am Kopf leicht zu treffen und steht gut vorbereiteten Hochquarten und Hochterzen nahezu hilflos gegenüber – was dann auch die besten Mittel sind, Fechtschüler auf ihre falsche Armposition hinzuweisen.

Primhieb und Primparade im Sparring

Die Ehre im Duell

Dass kaiserzeitliches Säbelfechten in erster Linie „Ehrenfechten“ war, erwähnte ich bereits. Für Duelle bedeutet das, dass vor dem Duell genau festgelegt wurde, welche Hiebe und welche Aktionen gestattet und welche verboten waren. Für heutiges Nachvollziehen bedeutet das, dass dies beim Sparring und Turnierfechten berücksichtigt werden muss. So muss geregelt werden, ob Kontratempo oder A-Tempo gefochten wird, welche Hiebe erlaubt sind, welche Techniken erlaubt sind. Dies erweist sich als knifflig in der praktischen Umsetzung, denn als Fechter ist man üblicherweise gewohnt, alles zu geben, was man kann. Beim Säbelfechten ging es aber nicht um so „schnöde Dinge“ wie Sieg oder Niederlage, sondern um Ehre. Es galt also, beim Fechtgang sich exakt an die abgesprochenen Regeln (den „Comment“) zu halten. Beim heutigen Fechten ist dieses bewusste Einschränken das meiner Ansicht nach schwierigste Problem. Wenn etwa eine Second-Hochquart-Moulinette eine Spezialtechnik eines Fechters ist, mit der er oder sie oft trifft, in den jeweiligen Regeln aber Moulinettes verboten sind, darf der Fechter seine Lieblingstechnik nicht benutzen.

Insgesamt zeigen diese exemplarisch ausgewählten Besonderheiten des deutschen Säbelfechtens, dass zum Verständnis früherer Fechtsysteme ein ausschließliches Beschränken auf Positionen und Hiebe nicht ausreicht, will man begreifen, worum es ging. Hier ist der Lehrer besonders gefordert, will er das Säbelfechten historisch korrekt unterrichten.

Literatur:

  • L. C. Roux: “Die Hiebfechtkunst”, Jena 1885 (verschiedene Nachdrucke erhältlich)
  • Friedrich Schulze: “Die Säbelfechtkunst”, Heidelberg 1889 (Nachdruck Hilden 2005)
  • Franz von Bolgar: “Die Regeln des Duells”, Wien 1908, Neudruck Hilden 2008

Zum Autor:
Georg Mackowiak, Jahrgang 1956.
Erste Versuche, nach Talhoffer zu fechten ab 1975, ab 1978 in Recklinghausen Vereinstrainer für Florettfechten, ab 1981 Einstieg ins mittelalterliche Schwertfechten in Mittelaltergruppen, auf Burgfesten etc, von 1989 bis 2003 in Recklinghausen Vereinstrainer für Kendo und Iaido, seit 2007 Trainer für Schwertkampf im Studio Neues Fechten, Recklinghausen.
Georg ist 2. Dan Iaido EKF (European Kendo Federation) und Prevot d’Armes AAI (Academie d’Armes Internationale).

Kontakt übers Studio Neues Fechten: www.neuesfechten.de
Bilder mit freundlicher Genehmigung von Studio Neues Fechten