Schwerter analysieren

Über die Zuverlässigkeit des Waggle-Tests

von Robert Geißler, Tremonia Fechten

Dynamische Größen bestimmen die Reaktion eines starren Körpers auf äußere Kräfte. Auch wenn ihre Bedeutung für das Verhalten eines Schwerts seit dem 19. Jahrhundert bekannt ist [1–3], umfassen viele Datensätze von Originalschwertern, Repliken und Trainingswaffen lediglich Masse und Schwerpunkt, nicht aber eine dritte Größe wie Trägheitsmoment, Trägheitsradius oder korrespondierende Schwingungs‐/Stoßmittelpunkte. Eine dritte Größe ist jedoch erforderlich, um die Reaktion eines starren Körpers zu berechnen. Zwar sind seit Jahrzehnten einige Geräte zur Messung von Trägheitsmomenten kommerziell verfügbar, unter Fechter/-innen und in Forschungsarbeiten mit Bezug zu Schwertern ist jedoch die am weitesten verbreitete Methode zur Bestimmung einer dritten Größe der Dynamik der sogenannte waggle test [4, 5], der Anfang des 21. Jahrhunderts in einer Variante mit nach oben gerichtetem Ort vorgestellt wurde [6] und mittlerweile vor allem mit nach unten gerichtetem Ort durchgeführt wird [7]. Beim Waggle-Test wird das Schwert zwischen Daumen und Zeigefinger gehalten und an dieser Stelle hin- und herbewegt, während gleichzeitig jener Punkt des Schwerts gesucht wird, der sich dabei nicht oder möglichst wenig bewegt.
Mit Hilfe des Waggle‐Tests lässt sich die Lage eines zu einer beliebigen Achse gehörenden Schwingungsmittelpunkts bestimmen, was erklären könnte, warum so viele Versuche, das dynamische Verhalten eines Schwerts zu interpretieren, die Positionen von Schwingungsmittelpunkten zum Gegenstand haben. Die Durchführung des Waggle‐Tests wird von Le Chevalier [7] beschrieben. Er untersuchte außerdem den Einfluss der erzwungenen Schwingungsperiode auf die Präzision des Verfahrens. Im vorliegenden Artikel werden Präzision und Richtigkeit des Waggle‐Tests auf der Grundlage experimenteller Daten untersucht.

Aufbau und Methoden

Für die Versuche wurden zwei hölzerne Besenstiele in die Form von Zylindern der Länge l = 1,216 m, mit dem Radius r = 0,0122 m und der Masse m = 418 g gesägt. Damit ergibt sich für das erste Hauptträgheitsmoment \(J_{\text{calc}} = 51{,}5\,\mathrm{g}\,\mathrm{m}^2\). Die Versuchsteilnehmer/-innen wurden angewiesen, den Schwerpunkt mit einem Gummiband zu kennzeichnen, den Punkt zu markieren, an dem sie den Stock halten wollten und den zugehörigen Schwingungsmittelpunkt nach Le Chevaliers Anleitung zum Waggle‐Test [7] zu bestimmen und zu markieren. Zusätzlich wurden sie angewiesen, den Besenstiel umzudrehen und den Waggle‐Test mit dem gefundenen Schwingungsmittelpunkt zu wiederholen und zu prüfen, ob sie den ursprünglichen Punkt als korrespondierenden Schwingungsmittelpunkt bestimmen können. Das Produkt aus der Masse des Besenstiels und den Abständen der korrespondierenden Schwingungsmittelpunkte zum Schwerpunkt ist das Trägheitsmoment um den Schwerpunkt. Es sollte bei jeder Messung mit dem berechneten Trägheitsmoment übereinstimmen. Ein Teil des Versuchs wurde bei den DDHF‐Trainertagen durchgeführt, einer Lehrveranstaltung für Trainer/-innen des historischen Fechtens. Dort wurden acht Datensätze aufgenommen. Der zweite Teil wurde bei Tremonia Fechten durchgeführt. Die Teilnehmer des zweiten Teils waren Anfänger/-innen, erfahrene Fechter/-innen und ein Trainer. Dieser Teil ergab sieben Datensätze. Zusätzlich wurden fünf Datensätze von Schwertern und Rapieren des 16. und 17. Jahrhunderts von der GEEhW analysiert. Die GEEhW untersucht Originale, vor allem deren morphologische Eigenschaften. Diese Datensätze umfassen Masse, die Lage des Schwerpunkts und zwei Paare korrespondierender Schwingungsmittelpunkte, die mit dem Waggle‐Test bestimmt wurden. [8] Das Trägheitsmoment ist damit überbestimmt. Zwar können wir nicht die wahren Trägheitsmomente der Schwerter berechnen, aber wir können die Ergebnisse aus jedem Schwingungsmittelpunktepaar vergleichen, um die Präzision der Messungen zu bestimmen.

Ergebnisse und Diskussion

Gemessene Trägheitsmomente (Kreuze) mit arithmetischem Mittel (blaue Linie) und Standardabweichung (graue Fläche) im Vergleich mit dem berechneten Trägheitsmoment (rote Linie).

Der Besenstiel‐Versuch ergibt ein arithmetisches Mittel der gemessenen Hauptträgheitsmomente \(\overline{J} = 33{,}6\,\mathrm{g}\,\mathrm{m}^2\) mit einer Standardabweichung von \(\sigma = 13{,}1\,\mathrm{g}\,\mathrm{m}^2\). Der Variationskoeffizient liegt damit bei \(\sigma/\overline{J} = 39{,}0\,\%\), die relative systematische Abweichung ist \(\frac{J_{\text{calc}} – \overline{J}}{J_{\text{calc}}} = 34{,}8\,\%\). Siehe Abb. 1 für eine graphische Darstellung. Die Ergebnisse der Trainergruppe (DDHF, Messungen 1 bis 8) ähneln denen der gemischten Gruppe (Tremonia Fechten, Messungen 9 bis 15) hinsichtlich Richtigkeit und Präzision.

Nach den Richtlinien der GEEhW sollen die Schwingungsmittelpunkte zu den beiden Enden des Schwertgriffs bestimmt werden; damit können wir aus jedem dieser Schwingungsmittelpunktepaare das Trägheitsmoment um den Schwerpunkt berechnen. Da das Trägheitsmoment um eine gegebene Achse in einem starren Körper konstant ist, weist der Unterschied zwischen den Ergebnissen auf die Präzision des Waggle‐Tests hin. Die Ergebnisse sind in Abb. 2 dargestellt.

Aus korrespondierenden Schwingungsmittelpunkten berechnete Trägheitsmomente; „proximal“ bezieht sich auf das Schwingungsmittelpunktepaar näher am Knauf, „distal“ auf das näher am Ort.

Die berechneten Trägheitsmomente weichen von ihren jeweiligen Mittelwerten um 56 % bis 95 % ab, die mittlere relative Abweichung liegt bei 73 %. Typische einfache Abstandsmessungen beinhalten Messfehler im niedrigen Prozentbereich. Die meisten Küchenwaagen arbeiten mit noch geringeren Fehlergrenzen. Der begrenzende Faktor für eine akkurate Bestimmung der dynamischen Eigenschaften von Schwertern ist damit der Waggle‐Test. In zwei weiteren Versuchen wurden Teilnehmende mit recht genauen Messungen darüber informiert, dass ihre Messungen ungenau seien, und sie wurden gebeten, Ergebnisse zu reproduzieren, die ihnen als exakt genannt wurden, in Wirklichkeit jedoch stärker vom berechneten Wert abwichen als ihre eigenen Messungen. In beiden Fällen konnten die Teilnehmenden die falschen Werte als richtig reproduzieren. Sollte diese Suggestionsanfälligkeit ein verbreiteter Effekt sein, sollte man besonders vorsichtig mit Messdaten sein, die mit einer gewissen Erwartung erzeugt wurden, z. B. wenn angenommen wird, dass ein spezieller Typ eines Schwerts eine bestimmte Lage des Schwingungsmittelpunkts aufweist.

Zusammenfassung und Ausblick

Obwohl der Waggle‐Test einige Messwerte ergab, die hinreichend nah am berechneten Trägheitsmoment liegen, weist die gesamte Datenlage darauf hin, dass man den Ergebnissen von Waggle‐Tests mit Skepsis begegnen sollte. Diese Beobachtung wird gestützt von der Diskrepanz zwischen sich aus korrespondierenden Schwingungsmittelpunktepaaren ergebenden Trägheitsmomenten, die mit Hilfe des Waggle‐Tests an Originalschwertern und ‐rapieren bestimmt wurden. Es wird daher vorgeschlagen, den Waggle‐Test zugunsten einer genaueren Methode aufzugeben und auf etablierte Verfahren wie Schwere- oder Federpendel zurückzugreifen.

Danksagung

Meine Mitfechter/-innen von Tremonia Fechten, meine Trainerkollegen vom DDHF und Tilman Wanke von der GEEhW haben freundlicherweise die Messdaten beigetragen, die in diesem Artikel verwendet wurden. Ich danke ihnen für ihre Unterstützung.

Literatur